Rechtsanwältin Mag. Katharina Braun
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Qualität von Gerichtsgutachten

Sachverständige spielen in vielen Prozessen eine wesentliche Rolle: so u.a. in Bauverfahren, bei Verkehrsunfällen, Schmerzensgeldprozessen und nicht zuletzt in Pflegschaftsverfahren ( Obsorge, Besuchsrecht etc.). Für viele Mandanten stellt sich nun die Frage nach den Anforderungskriterien für ein Gutachten. Die nachfolgenden Ausführungen sollen hier etwas Aufklärung verschaffen.

Gemäß den Richtlinien des Bundesministeriums für Gesundheit auf Grundlage eines Gutachtens des Psychologenbeirates vom 23.Mail 2002, veröffentlicht in Psychologie in Österreich Nr. 5, 2002, und in den Mitteilungen der Sanitätsverwaltung Nr. 12, 2002, S11 sollen sich Gutachten in inhaltlicher und sprachlicher Hinsicht vor allem durch folgende Qualitätsmerkmale auszeichnen, und zwar:

• Transparenz
• Nachvollziehbarkeit
• Schlüssigkeit
• Sachlichkeit
• Objektivität
• Unparteilichkeit
• klare, verständliche Sprache
• eindeutige Begrifflichkeit
• Erläuterung der verwendeten Fachbegriffe
• Verwendung korrekter Zeitformen
• eindeutige sprachliche Kennzeichnung der Aussagen von Dritten ( durch Verwendung des ersten Konjunktivs oder Hervorhebung wörtlicher Zitate durch Anführungszeichen)
• differenzierte Darstellung von personenbezogenen Merkmalen und Eigenschaften
• Fehlen von abwertenden Stellungnahmen.

Zur Nachvollziehbarkeit von psychologischen Gutachten ist anzumerken, dass einerseits beantwortete Fragestellungen dem gutachterlichen Auftrag entsprechen müssen, andererseits die Auswahl der Methoden und die Verfahrensweise bei der Untersuchung aus den psychologischen Fragestellungen ableitbar sein müssen. Aus den Ergebnissen der Untersuchung müssen sich die Interpretation, die Schlussfolgerungen und die Beantwortung der psychologischen Fragen schlüssig und nachvollziehbar ergeben. Aus der Beantwortung der psychologischen Fragen muss sich die Beantwortung der gutachterlichen Fragestellungen, das gutachterliche Kalkül nachvollziehen lassen.

Die Rahmenbedingungen unter denen Befunde und Gutachten erstellt werden, müssen bestimmten Qualitätskriterien genügen.

Befunde und Gutachten sollen in der Regel nicht auf einer einzigen, sondern auf mehreren, voneinander unabhängigen Datenquellen beruhen, zB Exploration, Verhaltensbeobachtung, unterschiedliche Testverfahren, Akteninhalte etc.

In dem Befund hat der Sachverständige die Ergebnisse der Untersuchung im Hinblick auf die psychologischen Fragestellungen zu integrieren und zu interpretieren. Der Befund hat all jene Tatsachen, die der Sachverständige ermittelt hat, festzustellen. Gutachten müssen so formuliert und begründet sein, dass die Richtigkeit des Ergebnisses nachgeprüft und gleichzeitig festgestellt werden kann, aufgrund welcher Quellen und Erfahrungssätze der Sachverständige seine Erkenntnisse gewonnen hat

Werden diese Angaben nicht befolgt so stellt dies eine Qualitätsminderung des Gutachtens da.

Das Gutachten ist nach übereinstimmender Auffassung in Lehre und Judikatur dann mit einem wesentlichen Mangel behaftet wenn ein Gutachten nicht schlüssig ist, „ Eine Sachverständigenäußerung, die sich in der Abgabe eines allgemein gehaltenen Urteils erschöpft,…ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar.“
( Gutachterrichtlinie – Kriterien für die Erstellung von Gutachten durch Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten).

Der Sachverständige hat daher jedenfalls darzulegen, auf welchem Wege er zu seinen Schlussfolgerungen gelangt ist. Dies vor allem deshalb, um dem Auftraggeber (der entscheidungsfindenden Behörde, dem Gericht) die Möglichkeit zu geben, die Schlüssigkeit des Gutachtens zu prüfen.

Als wichtigste Voraussetzungen für die Schlüssigkeit eines Gutachtens sind anzusehen:

• Logische Gedankenführung: Ein Gutachten hat grundsätzlich dem Schema Frage –Untersuchung – Antwort zu folgen. Unzulässige Generalisierung ( induktive Schlüsse) sind zu unterlassen; Widerspruchsfreiheit der Argumentation: Widersprüche in Gutachten treten häufig dadurch auf, dass der Sachverständige seine Denkschritte nicht vollständig darstellt
• Sprachliche Verständlichkeit
• Eindeutigkeit der Aussagen: Die Formulierungen in Gutachten sollten möglichst klar und eindeutig sein, um eine größtmögliche Verständlichkeit für alle Leser zu gewährleisten
• Vollständigkeit der Ausführungen: da der Adressat lediglich die Ausführungen im Gutachten als Anhaltspunkte für dessen Schlüssigkeit heranziehen kann, ist darauf zu achten. Dass sämtliche Überlegungen und angestellten Erhebungen auch tatsächlich im Gutachten ihren Niederschlag finden.

Der Abfassung eines Gutachtens hat jedenfalls ein eingehender Abwägungsprozess voranzugehen.

So ist auch nicht jede Handlung eines Sachverständigen als Gutachten zu bezeichnen. Die schematische Auswertung eines Tests ist daher kein Gutachten, da diesfalls keine Abwägung durchgeführt worden ist.

Ein Gutachten liegt nur dann vor, wenn der Sachverständige die Ergebnisse des Tests wertet und daraus fachkundige Schlüsse zieht.

Unerlässlich ist, dass der Sachverständige in seinem Gutachten die seinen Ausführungen zugrunde gelegten Beurteilungsmaßstäbe angibt. Dies insbesondere deshalb, damit der jeweilige Leser in der Lage ist, nicht nur die Logik der Untersuchung, sondern auch die Logik der daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen zu verstehen.

Dem Inhalt der Standesregeln kommt allgemeine Gültigkeit hinzu, sodass die Einhaltung dieser Verhaltensregeln von allen bei Gericht tätigen Sachverständigen verlangt werden kann.

Die Pflicht zur Unparteilichkeit und Objektivität gebietet dem Sachverständigen, bei streitigem Sachverhalt oder nicht eindeutigem Beweisergebnis sein Gutachten „ alternativ“ entsprechend den verschiedenen Möglichkeiten der Beweiswürdigung, zu erstatten und auf Unklarheiten, Mängel und Widersprüche in der Beweisaufnahme hinzuweisen, um evtl. die Vervollständigung des für die Gutachtenserstattung erforderlichen Sachverhalts zu erreichen. Keinesfalls darf der Sachverständige jedoch in solchen Fällen ohne Anhaltspunkte bestimmte Tatsachen – zu Gunsten oder zu Ungunsten des Beschuldigten – einfach unterstellen.

Der Sachverständige muss sein Gutachten streng objektiv, ausschließlich sachbezogen und in jeder Hinsicht unvoreingenommen erstatten. Anderenfalls kann er wegen „ Besorgnis der Befangenheit“ abgelehnt werden. Auch das sog. Privat – oder Parteigutachten darf nicht „ parteiisch“ sein.

Ein Privatgutachten ( dies anders als in den USA, wo allein die Parteien die Sachverständigen berufen) – also ein nicht gerichtlich beauftragtes Gutachten -ersetzt nicht ein Gerichtsgutachten. Ein Privatgutachten ist jedoch imstande Zweifel an einem Gerichtsgutachten zu erwecken bzw. liefert Grundlage für ergänzende Fragen an den Sachverständigen. Wird die Qualität des Gutachtens vom Gericht in Frage gestellt, kann dies dazu führen, dass ein zweiter Gutachter vom Gericht mit der Erstellung einer Expertise beauftragt wird.

Im Übrigen: im Pflegschaftsverfahren gilt, aufgrund des Untersuchungsgrundsatzes, die Besonderheit, dass die Kosten des Sachverständigengutachtens von beiden Eltern zu bezahlen sind. Auf die Frage, wer den Antrag auf Einholung des psychologischen Gutachtens gestellt hat, kommt es daher nicht an. Vielmehr wird der Sachverständigenbeweis unabhängig von einem solchen Antrag im Interesse des Kindes und damit im Interesse beider Eltern aufgenommen.